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JAMES KRÜSS

Zitate

»Nicht das Genügen am ordentlich Gemachten, am schön Lackierten, macht Literatur, sondern das Ungenügen an der Welt, das Bedürfnis, ihr durch den Lack zu blicken.«

aus: Der schwere Weg zum guten Buch. Antwort auf eine Umfrage. in: Naivität und Kunstverstand

»Bei Geschichten kommt es nicht darauf an, dass sie wahr, sondern dass sie schön sind.«

aus: Leuchtturm auf den Hummerklippen

»Haltet die Uhren an. Vergesst die Zeit. Ich will euch Geschichten erzählen.«

aus: Sommer auf den Hummerklippen

»Ich werde dafür sorgen, dass er Kinder trifft, Gevatter, denn dann, wenn Kinder fragen, wird dein Nebel licht.«

aus: Freunde von den Hummerklippen

»Die Moral lautet: Gold und Glück sind ganz verschiedene Sachen. Oder auch: Gold ist ein Gut, aber nicht unbedingt ein gutes.«

aus: Freunde von den Hummerklippen

»Und daran siehst du (...), dass derjenige, der über die Vergangenheit nichts weiß, auch über die Zukunft gar nichts sagen kann.«

aus: Abschied von den Hummerklippen

»Was nützt die Glühbirne, die Licht macht, wenn man bei ihrem Licht nicht mehr Gedichte liest? Was nützt das allerbeste Radio, wenn der, der darin piepst, gar nichts zu sagen hat? Was nützt der allerbeste Fernsehschirm, wenn lauter Mord und Totschlag drüber flimmert? Mit solchem Zeug schlägt man ja nur die Zeit tot.«

aus: Abschied von den Hummerklippen

»Der Mensch hat sein Gehirn, damit er sich erinnern kann an das, was einst gewesen ist, aber damit er auch vorausbedenken kann, was sein wird oder doch sein könnte. Wer überleben will, muss an die Zukunft denken.«

aus: Abschied von den Hummerklippen

»Aber wer weiß, vielleicht wird sich die Technik eines Tages überschlagen. Vielleicht lernen wir eines Tages wieder, dass manches, was so kompliziert erscheint, auch einfach geht. Vielleicht wird eine Zeit kommen, in der einfach das Wünschen wieder helfen kann.«

aus: Abschied von den Hummerklippen

»Wo der Mensch lacht, hat der Teufel seine Macht verloren.«

aus: Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen

»Dann sind die Wörter ja Kleider, mit denen man die ganze Welt anzieht, Urgroßvater!«
»Jawohl, Boy, so ungefähr ist es. Ohne Sprache ist die Welt so nackt, wie du jetzt bist. Aber durch die Sprache wird sie so gesittet und ordentlich wie du durch deinen Anzug.«

aus: Mein Urgroßvater und ich

»Das ist ein sehr sinnvoller Reim«, sagte mein Urgroßvater. »Er zeigt, dass man alles, was sagt, auch verstehen muss. Sonst soll man lieber schweigen.«

aus: Mein Urgroßvater und ich

»Was eine Geschichte auf jeden Fall braucht, um eine Geschichte zu sein, ist ein Anfang, eine Mitte und ein Ende. Wenn eins davon fehlt, ist es keine Geschichte. Es gibt allerdings überhaupt keine Grund, sie in dieser Reihenfolge zu erzählen, man kann auch mit dem Ende anfangen oder alles durcheinanderwerfen.«

aus: Mein Urgroßvater und ich

»Das ist das Ergebnis meiner Nachtarbeit, Boy. Dichter scheinen Nachtlichter zu sein. Ich bin gespannt, ob unsere Reime bei Tage bestehen können.«

aus: Mein Urgroßvater und ich

»Beim Geschichtenschreiben muss man allein sein. Hunde stören dabei. (Aber Katzen nicht.)«

aus: Mein Urgroßvater und ich

Als der Urgroßvater zu Ende erzählt hatte, fragte ich: »Ist diese Geschichte wirklich passiert?«
»Lieber Boy«, bekam ich zur Antwort, »wenn eine Geschichte einen Sinn hat, dann ist sie wahr, selbst wenn sie nicht passiert ist! Verstanden?«

aus: Mein Urgroßvater und ich

Mein Urgroßvater schnitzte schweigend weiter an seinen Korken, als er mit seiner Geschichte zu Ende war. Endlich legte er das Schnitzmesser in den Wäschekorb und sagte: »Die Moral von der Geschichte, Boy, ist eine seltsame Moral. Sie heißt: Lerne, wie man schreiben soll. Aber dann vergiss das Gelernte, wenn du schreibst!«
»Das ist wie beim Schwimmen, Urgroßvater. Am Anfang muss man die Arm- und Beinbewegungen lernen, aber später muss man sie beherrschen, ohne an sie zu denken. Sonst schwimmt man schlecht und geht unter.«
»Ein guter Vergleich, Boy! Ob man geht oder schwimmt oder schreibt, es ist immer dasselbe: Man muss zuerst etwas können und später etwas wagen, dann geht’s!«

aus: Mein Urgroßvater und ich

»Wenn ich ein Gedicht beendet habe, bin ich immer sehr menschen- und tierfreundlich.«
»Ich auch, Urgroßvater!«, rief ich.
»Ja, Boy, das ist das süße Gefühl, mit etwas fertig geworden zu sein.«

aus: Mein Urgroßvater und ich

»Eine Geschichte, Boy, muss sein wie eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Sie muss rund sein und ganz und gar mit sich selber beschäftigt. So wie die Schlange, wenn sie ihren Schwanz in den Mund nimmt, nun weder Anfang noch Ende hat, so muss das Ende einer Geschichte wieder in den Anfang schlüpfen.«

aus: Mein Urgroßvater und ich

»Weil du aus dieser Geschichte lernen kannst, dass ein Mensch meistens so ist, wie er spricht und wie er geht und sich benimmt ...«

aus: Mein Urgroßvater und ich

»Weißt du, Bruder Mucki, man lernt viel, wenn man im Winter nicht schläft. Aber gemütlicher ist es um diese Jahreszeit halt doch im Bau!«

aus: Mein Urgroßvater und ich

»Lieber Boy (…), wenn eine Geschichte einen Sinn hat, dann ist sie wahr, selbst wenn sie nicht passiert ist! Verstanden?«

aus: Mein Urgroßvater und ich

»Eigentlich«, fuhr er fort, »lebe ich ja noch eine ganze Weile über meinen Tod hinaus. Nicht unbedingt mit dieser Hose und diesen wollenen Socken und diesen schwarzen Schuhen. Aber als Figur. In dir. Und in den Büchern.«

aus: Mein Urgroßvater, die Helden und ich

»[Doch] ich bin der Herr meiner eigenen Geschichten. Ich bestehe darauf, die Unvernunft zu zeigen, aber am Ende lasse ich die Vernunft triumphieren, weil ich der dummen Wirklichkeit ein Stück voraus sein will.«

aus: Mein Urgroßvater, die Helden und ich

»Betten sind zum Dichten gut«, erwiderte der große Boy. »Aber Schlafzimmer ersticken jeden schönen Einfall.«

aus: Mein Urgroßvater, die Helden und ich

»Gleich anfangen ist Quatsch. Erstens will ich rauchen, zweitens müssen diese Kissen und Gardinen verschwinden, drittens kann ich nicht nach der Uhr dichten, viertens brauche ich eine Idee.«

aus: Mein Urgroßvater, die Helden und ich

»Siehst du«, sagte mein Urgroßvater, »beim Dichten darf man nicht angestrengt herumtüfteln, wie wir es nach der ersten Hälfte unserer Gedichte getan haben. Man muss immer ein bisschen spielen und Spaß dran haben, dann fließen die Verse.«

aus: Mein Urgroßvater, die Helden und ich

»Um Gottes willen, Tante Julie, es kommt beim Dichten doch nicht auf Schnelligkeit an!«, rief ich. »Ob man an einem Gedicht eine Viertelstunde oder ein Vierteljahr herumbastelt, ist vollkommen egal. Wichtig ist, dass es am Ende eine ordentliche Sache ist.«

aus: Mein Urgroßvater, die Helden und ich

Mein Urgroßvater sagte, er habe Helden, die sich zu ihrer Tat erst überwinden müssen, besonders gern. »Sie packen das, was sie tun, wie eine bittere, aber notwendige Aufgabe an.«

aus: Mein Urgroßvater, die Helden und ich

»Kapetane«, antwortete ich, »wenn es nach mir ginge, könnten alle fünf Erdteile unserer Welt zu Glücklichen Inseln werden. Aber ich weiß leider, dass sie nur Schlösser im Monde sind. Ihre Art Glückseligkeit wird für uns immer unerreichbar bleiben.«

aus: Die Glücklichen Inseln hinter dem Winde

»Wir müssen wissen, was das Glück ist, wenn wir es suchen. Wir brauchen ein Bild des Paradieses, wie der Seemann den Polarstern braucht, um sein Schiff sicher zu führen.«

aus: Die Glücklichen Inseln hinter dem Winde

Das Lesen, Kinder, macht Vergnügen,
Vorausgesetzt, dass man es kann.
In Straßenbahnen und in Zügen
Und auch zu Haus liest jedermann.
Wer lesen kann und Bücher hat,
Ist nie allein in Land und Stadt.
Ein Buch, das uns gefällt,
Hilft weiter durch die Welt.

aus: Der Zauberer Korinthe und andere Gedichte

Irgendwo ins grüne Meer
Hat ein Gott mit leichtem Pinsel
Lächelnd, wie von ungefähr,
Einen Fleck getupft: Die Insel!

Und dann hat er, gutgelaunt,
Menschen diesem Fels gegeben
Und den Menschen zugeraunt:
Liebt die Welt und lebt das Leben!

aus: Historie von der schönen Insel Helgoland

»Ich weiß von Hunger und Angst, von Krankheit und Tod und von Kisten, die Särge ersetzten.
Ich weiß das alles. Doch ich kann es nicht beschreiben. Ich blieb am Rande des Schreckens, weil ich am Rande bleiben wollte. Ich handelte nach dem Instinkt der Katzen, die sieben Leben zu verlieren haben. Befreit von Bindungen, die ich gehasst hatte, fürchtete ich neue Bindungen jeder Art, sogar die Liebe. Ich blieb allein, war flüchtiger, dankbarer Gast in vielen Häusern am Rande des Weges; aber der Weg blieb lange mein Zuhause. Ich war ein halbes Jahr lang Vagabund. So überlebte ich. So erlebte ich, mitten im Chaos, eine Idylle.«

aus: Heimkehr aus dem Kriege: Eine Idylle. Vorbemerkung

»Heut weiß ich ja: Die Kindheit dauert tausend Jahre, das Altern aber währt nur einen Augenblick.«

aus: Sechs Jahrzehnte. Eine autobiographische Skizze

»Damit Kinder denkende Zeitgenossen werden, muss man sie das Mitdenken lehren. Damit sie, die das Leben erst erlernen müssen, der Wirklichkeit nicht nur standhalten, sondern sie auch mitbestimmen können in späteren Jahren, darf man sie weder zur früh mit den Schrecknissen der Welt vertraut machen, noch soll man sie ins temperierte Glashaus setzen, vor allen Winden wohlbehütet.«

aus: Almanach zum 60. Geburtstag

Fantorile Fantaspiele
Fantomile Fantasei
Fantologische Fandrome
Fantalante Fantorei.
Fantoronte Fantoklanten
Fontolonte Fantirie
Fantastile Fantastrofen
Fantollführt die Fantasie.

aus: Flora biegt Balken

»Wer für Kinder schreibt, der schreibt für das offenste, weiteste, neugierigste und undoktrinärste Publikum der Welt. Aber er schreibt auch – und das ist ein ganz besonderer Reiz – für die Erwachsenen von morgen.«

aus: Warum schreibt man Kinderbücher?

»Das Positive im schönen Unsinn ist der Sinn. Der Reiz der auf den Kopf gestellten Welt liegt in der beruhigenden Gewissheit, dass die Welt de facto eben nicht auf dem Kopfe steht.«

aus: Warum schreibt man Kinderbücher?

»Warum schreibt man also für Kinder? (...) Aus Spaß.«

aus: Warum schreibt man Kinderbücher?

»(Auf kleinen Inseln mit wenig Auslauf) gedeihen dankbare Zuhörer und wirkungsvolle Erzähler. Selbst der Klatsch wird zur Anekdote sublimiert. Ich entwickelte beide Talente, das zum Zuhören und das zum Erzählen: Ohr und Auge waren geschichtengierig, und ich schwindelte vollendet.«

aus: Vorläufige Lebensgeschichte eines Geschichtenerzählers. Eine autobiographische Skizze

»(Mir) wurde (…) klar, warum ich mich zum Schulmeister nicht eigne. Ich will nicht lehren, sondern lernen, nicht Kenntnisse und Erkenntnisse vermitteln, sondern sammeln. Auch fehlt mir (…) jeglicher Sinn für Machtverhältnisse.«

aus: Vorläufige Lebensgeschichte eines Geschichtenerzählers. Eine autobiographische Skizze

»Und das ist es wahrscheinlich, was den Kinderschriftsteller ausmacht: dass er jene ›höhere Kindlichkeit‹ besitzt, die man Naivität nennt, dass er niemals ein seriöser Herr wird, niemals ein respektabler Bürger. (…) Er wagt es, ein Clown, und man gestattet ihm, aufsässig zu sein.«

aus: Vorläufige Lebensgeschichte eines Geschichtenerzählers. Eine autobiographische Skizze

»(…) in meinen Kinderbüchern bin ich vorsichtig mit satirischen Mitteln: Die Säure, die für verhärtete und verknöcherte Stämme ätzend sein muss, kann jungen Schösslingen Schäden zufügen, die auch der mildeste Sommer nicht heilt.«

aus: Vorläufige Lebensgeschichte eines Geschichtenerzählers. Eine autobiographische Skizze

»Der Erfolg ist ein Kuckucksei. Wem der Erfolg ins Nest gelegt wurde, der sollte sich hüten, ihn zu päppeln. Sonst kommen die eigenen Jungen zu kurz.«

aus: Vorläufige Lebensgeschichte eines Geschichtenerzählers. Eine autobiographische Skizze

»Mein größtes Anliegen ist es, den Kindern nicht nur von Gutem und Bösem zu erzählen, sondern auch, wann das Gute anfängt, böse zu werden.«

aus: Vorläufige Lebensgeschichte eines Geschichtenerzählers. Eine autobiographische Skizze

»So wie wir mithelfen, die Jugend aufzuziehen, so wird auch die Welt von morgen aussehen.«

aus: Vorläufige Lebensgeschichte eines Geschichtenerzählers. Eine autobiographische Skizze

»Immerhin«, sagte ich laut, als Carmen sich von uns verabschiedete. »Veränderung gibt es, Carmen, vielleicht sogar zum Guten.«
»Nur wenn der Mensch zu lernen liebt«, sagte Herr Joka.
»Und wenn er lernt zu lieben«, sagte Carmen.

aus: Sturm um Tante Julies Haus oder Geschichten aus allen Winden

»Man muss ein fernes Ziel ansteuern, um den richtigen Kurs zu fahren, und es ist gut, dass wir das ferne Ziel im Auge haben. Aber die Reise, die die Menschheit macht, die Reise durch die Zeit und durch die Zeiten, ist eine Reise voller Hindernisse und möglich nur, weil wir schon eine Weile auf der Reise sind und dabei dies und das gelernt haben. Wir sind ja nichts als klug gewordener Wasserstoff.«

aus: Sturm um Tante Julies Haus oder Geschichten aus allen Winden