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Wissenschaftliche Betrachtungen

Literarische und wissenschaftliche Werke für Erwachsene

James Krüss ist zwar bis heute vor allem für seine Kinderbücher und Gedichte bekannt. Tatsächlich aber hat er auch zahlreiche Werke für Erwachsene verfasst, in denen er sich intensiv mit Identitätsbildung und Biographieentwürfen, mit Überlegungen zur Sprache allgemein, mit der Insel Helgoland und auch mit Formen, Inhalten und Funktionen von Literatur beschäftigt. Themen, die er in komplexe und wissenschaftliche Zusammenhänge einordnet.

 

Sein erstes Buch »Der goldene Faden«, das Krüss 1946 im Parus Verlag veröffentlichte, enthält vier Legenden genannte Erzählungen, in denen er Tugenden mit Witz und Ironie in Frage stellt und Untugenden humoristisch-positiv präsentiert. Die 1960 in Ost-Berlin in einem Erzählband erschienene Erzählung »Der Schrank« wiederum thematisiert Identitätsfragen. Sie handelt von sechs Menschen, die der Reihe nach Besitzer ein und desselben Schranks werden, dessen außergewöhnliche (fiktive) Biographie und Familiengeschichte ihrem Ansehen kurzfristig einen besonderen Glanz verleihen. Und in »Polulangrische Lieder« von 1968 parodierte Krüss einerseits linguistisch-etymologische Forschungen über Minderheitensprachen und Dialekte und andererseits literaturwissenschaftliche Bemühungen, in lautmalerischer Lyrik sinnvolle Konstrukte zu erkennen. Krüss beweist damit Sinn für literarischen Nonsens, den er mit seinem Engagement für einen bestehenden Sprachpluralismus verknüpft, der seiner Meinung nach durch Verwissenschaftlichung gefährdet wird.

 

In »Naivität und Kunstverstand«, erstmals erschienen 1969 im Beltz Verlag und hier kurz vorgestellt, zeigt sich James Krüss einmal anders, als man ihn eigentlich kennt. Nämlich als temperamentvoller Kritiker der Kinder- und Jugendbuchliteratur, einer Gattung, die ihn als Verseschmied und Geschichtenerzähler berühmt gemacht hat.

»Weil Kinder Phantasie haben, muss man das nutzen, um mit ihrer Hilfe die Wirklichkeit der Welt zu explizieren.«

James Krüss, 1969

Naivität und Kunstverstand

In »Naivität und Kunstverstand«, das 1992 im Beltz Verlag mit einer teils abweichenden Textauswahl neu aufgelegt wurde, erläutert James Krüss seinen Gedanken zur Kinderliteratur. Er begibt sich damit auf die Seite der Leser und Kritiker. Seine Anmerkungen über dieses Literaturgenre und manches, was damit zusammenhängt, sind spannend zu lesen: In Aufsätzen, Reden und Zeitschriftenbeiträgen zur Kinder- und Jugendbuchliteratur, zu einzelnen kinderliterarischen Werken und Kinderbuchautoren schreibt Krüss über Lust und Laster des Lesens. Über die Vor- und Nachteile des Alphabetentums, über wahre und falsche Helden, über Phantasie und Poesie. Über Kunst und Moral, über den Pseudo-Tiefsinn und den schönen Unsinn. Und nicht zuletzt auch über seine eigene Person und seine schriftstellerische Arbeit.

Immer wieder taucht in den Texten der Begriff der »Vorstellungskraft«, der »Phantasie« auf, ohnehin ein zentrales Moment in Krüss' Leben, Denken und Werk. Denn für Krüss ist die Phantasie eine zwingend notwendige Voraussetzung für die Produktion von Kinderliteratur. Kindern dürfe aus seiner Sicht die Welt nicht als Idylle dargeboten werden, doch sollen Probleme und Böses einen angemessenen, gegebenenfalls auch phantasievollen Rahmen erhalten.

James Krüss, Naivität und Kunstverstand // Taschenbuch // 232 Seiten // ISBN 978-3-407251381 // Beltz Verlag (vergriffen)